Ausschließlich Positives habe ich von meinen Booktube- und Bookstagram-Kollegen über „Insel der verlorenen Erinnerung“ gehört. Als ich den Klappentext las, war für mich klar: Das muss ich lesen, die Story hört sich vielversprechend an. Ich fragte demnach ein Rezensionsexemplar beim Liebeskind Verlag an, der es mir freundlicherweise zum Lesen zur Verfügung stellte. Das Buch erschien am 7. September 2020 und umfasst 352 Seiten.
Die Handlung
Wir befinden uns hier – wie der Titel bereits vermuten lässt – auf einer Insel, auf welcher nach und nach Dinge und Tiere verschwinden. Als letzter Schritt verblassen zunehmend auch die Erinnerungen der Menschen. Es gibt nur wenige Personen, die nach wie vor nicht vergessen. Diese werden allerdings von der Erinnerungspolizei gejagt, die ein großes Interesse daran hat, dass nicht nur alles in Vergessenheit gerät, sondern auch bleibt. Die Hauptprotagonistin ist eine junge Schriftstellerin, die Angst davor hat, dass ihr Verleger, der sich weiterhin erinnern kann, von der Polizei geschnappt wird. Aus diesem Grund errichtet sie für ihn ein Versteck und setzt alles daran, ihn zu schützen.
Meine Meinung
Ihr habt keine Zeit, die Rezension zu lesen? Hier könnt ihr euch auch die entsprechende Stelle in meinem Lesemonat März anhören:
Ogawa ist es absolut gelungen, den trostlosen Prozess des Vergessens in aller Ausführlichkeit zu schildern. Dies macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass nicht nur die vordergründige Handlung von diesem Verfall gezeichnet ist, sondern auch das Buch im Buch. Die junge Schriftstellerin arbeitet nämlich an einem Roman, den ihr Verleger immer wieder Korrektur liest: Und auch in diesem wird mehr als deutlich, dass sie das Thema Erinnerung/Vergessen und das Gefühl des Gelähmt-Seins stark beschäftigt. Darüber hinaus bleiben die Hauptprotagonisten bis zum Schluss namenlos. Wir erfahren weder den Namen der Protagonistin noch den des Verlegers. Dasselbe gilt für den „alten Mann“, der den beiden eine große Stütze ist. Ogawa zieht demnach das übergeordnete Thema strikt an allen erdenklichen Stellen durch.
Nun könnte man meinen, dass es schwerfiele, zu den Charakteren eine Bindung aufzubauen. Dies ist jedoch ganz und gar nicht der Fall: Ich habe alle drei beim Lesen ins Herz geschlossen und mit ihnen mitgefühlt. Ihre besondere Beziehung und Freundschaft stand für mich sogar in dieser stark an George Orwells 1984 erinnernden Welt für eine gewisse Form von Hoffnung und hat mich an vielen Stellen trotz der tristen Gesamtatmosphäre durchatmen lassen.
Auch wenn das Thema und die damit verbundene Angst und Auswegslosigkeit an Orwells Dystopie erinnern, ist es dennoch nicht vergleichbar: Ogawa erzählt sehr ruhig und leise. Es wird vielmehr ein schleichender Verfall geschildert, der mich als Leser berührt und mitgenommen hat.
Vor allem der Schluss hat mich richtig begeistert, da dieser Prozess des Verschwindens und Vergessens in meiner Vorstellung in keinster Weise zu dem führen hätte können, was die Autorin beschrieben hat (das müsst ihr natürlich selbst lesen). Mir persönlich zeigte es, dass die beschriebene Entwicklung ganz langsam vollzogen wird – solange bis nichts mehr übrig ist. Für mich persönlich wurde dadurch hervorgehoben, dass Menschen nicht schnell Verdacht schöpfen, sondern es sogar lernen, sich nach und nach an die Situation zu gewöhnen, was durchaus fatal sein kann.
Obwohl mich das Thema überzeugt hat und ich es gerne gelesen habe, war der Schreibstil für mich nichts Besonderes. Würde ich es etwas kritischer formulieren wollen, würde ich sogar sagen: Langweilig. Er hat für mich keinen Wiedererkennungswert und an einigen Stellen (vor allem in der ersten Hälfte des Buches) plätscherte es für mich einfach so dahin. Dies mag jedoch daran liegen, dass ich einen etwas bildhafteren Stil gewohnt bin und in der Regel auch lieber mag. Wenn man so möchte, kann diese Nüchternheit und Sachlichkeit jedoch auch die ernste Grundthematik, die dieses Buch abhandelt, unterstreichen.
Fazit
Trotz der ruhigen Erzählweise hat dieses Buch nichts an Tragik und augenöffnenden Momenten eingebüßt. Die Message wird dem Leser deutlich und am Schluss noch einmal in einer sehr bildhaften, bewusst überzogenen Art und Weise auf dem Silbertablett serviert. Abgesehen von dem Schreibstil, an den ich mich erst gewöhnen musste, also ein Buch, das ich in jedem Fall empfehlen kann.