Ich habe vor einiger Zeit schon sehr über „Die Lieferung“ von Andreas Winkelmann geschwärmt. Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass mir der Rowohlt Verlag bereits vor dem offiziellen Erscheinungsdatum das E-Book zu „Der Fahrer“ zur Verfügung gestellt hat. Wenig später hielt ich dann auch schon die Print-Ausgabe in meinen Händen. Natürlich begann ich direkt mit dem Lesen und war sehr gespannt, ob Andreas Winkelmann mich wieder so überzeugen würde. Bei „Der Fahrer“ handelt es sich um den dritten Band der Oswald und Kerner Reihe. Er erschien am 16. Juni 2020 und umfasst 400 Seiten.
Die Handlung
In Hamburg treibt ein Serientäter sein Unwesen: Seine Opfer sind ausschließlich Frauen, die völlig auf sich allein gestellt nachts unterwegs sind. Ihre einzige Gemeinsamkeit: Sie alle haben eine Verbindung zum Fahrdienst MyDriver. Der Täter bemalt ihre Körper mit Leuchtfarbe und setzt mit gezielt gesetzten Hashtags ein klares Zeichen. Die Verfolgungsjagd beginnt und es scheint, als würde er seine Taten an eine bestimmte Person richten.
Meine Meinung
Als ich den Klappentext gelesen habe, war ich schonmal euphorisch: Er hat mich direkt angesprochen, weil mich die Vorstellung gruselt. So viele von uns nutzen Fahrdienste, aber auch Instagram oder andere soziale Netzwerke und sind mit Hashtags vertraut. Nicht zuletzt diese Tatsache bietet die ideale Ausgangslage dafür, sich gut in die Story hineinversetzen zu können. Gerade weil es so nah scheint, stellt es auch die Basis für Unsicherheit, Angst und Schrecken dar. Wenn das nach keinem guten Thriller klingt, weiß ich auch nicht. Und tatsächlich: Je weiter ich mit dem Lesen fortgeschritten bin, desto mehr steigerte ich mich in die ganze Sache hinein und bekam – ich kann es nicht anders sagen – Panik.
Da ich bei „Die Lieferung“ recht zügig wusste, wer der Täter ist (was der Spannung übrigens nicht im Geringsten einen Abbruch tat), hatte ich mich gefragt, ob ich mit meiner Vermutung auch bei „Der Fahrer“ richtig liegen würde. Aber nein: Das war ganz und gar nicht der Fall. Ich war mir an unzähligen Stellen sicher, dass ich jetzt nun aber wirklich wüsste, wer der Täter ist… nur um kurz darauf eines Besseren belehrt zu werden. Ich kam bis zum Ende nicht darauf. Nichtsdestotrotz war die Auflösung auch nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern schlüssig und logisch.
Was mir wieder außerordentlich gut gefallen hat, war Winkelmanns Schreibstil: Ich würde fast meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ich ihn aus einer Vielzahl deutscher Thriller-Autoren heraus erkennen würde. Er zeichnet sich durch einen sehr klaren, unverblümten Sprachstil aus. Die Sätze sind oftmals kurz, es gibt immer eine klare rote Linie: Der Autor kommt demnach nicht nur hinsichtlich der Handlung niemals von seinem Weg ab, sondern auch in seiner sprachlichen Darstellung. Auch wenn ich das gegenüber anderen Autoren keinesfalls abwertend meine – da es mir sehr oft auch gut gefällt, wenn viele Details und Informationen integriert werden – ist es trotzdem erfrischend, den Stil Winkelmanns zu lesen. Meiner Meinung nach ist nicht zuletzt dieser Grund für die rasante Stimmung, die seine Thriller schaffen. Es gibt schlichtweg keine beziehungsweise kaum Verschnaufpausen für den Leser. Sicher war es auch mit eine Ursache dafür, weswegen ich die verbleibenden 50 Prozent des Buches an einem Abend weggesuchtet habe – es aus der Hand zu legen kam einfach nicht in Frage.
Was ich außerdem an der Reihe liebe, sind die Charaktere: Jens ist einer der liebenswürdigsten Ermittler überhaupt. Nicht selten wirkt er unbeholfen und man spürt, wie er sich in sozialen Situationen oftmals fehl am Platz fühlt. Auch hier würde ich fast von einer gewissen Einheitlichkeit sprechen, die Winkelmann in dieser Reihe schafft: Auch Jens ist kein Mensch der großen Worte. Vielmehr zeigt er durch Taten, wer er ist und was er fühlt. Nicht immer ist es leicht, ihn zu verstehen, doch irgendwann macht es Klick. Genauso wie bei der Story als solche.
Abgesehen vom Hauptprotagonisten bin ich auch großer Fan der anderen Charaktere: Hier werden auch ganz viele zwischenmenschliche Themen abgedeckt, die es dem Leser ermöglichen, sich in der ein oder anderen Situation wiederzufinden. Zudem stellen diese Momente einen gelungenen Kontrast zu der Kaltblütigkeit des Täters dar. Aus meiner Sicht ideal gelöst, da es zeitweise echt schwierig war, das Vorgehen des Täters zu verfolgen: Es ist kein blutiger Thriller, aber ein brutaler allemal.
Hinsichtlich des Spannungsbogens muss ich sagen, dass es dem Autor gelungen ist, ihn konstant aufrechtzuerhalten. Gelegentlich gibt es kleine Cliffhanger am Ende eines Kapitels, die natürlich zum Weiterlesen animieren. Glücklicherweise nutzt Winkelmann dieses Stilmittel nicht am Ende eines jeden Abschnitts: Ich persönlich empfinde das krampfhafte, übermäßige Einsetzen von Cliffhangern nämlich immer als Versuch, künstlich Spannung zu erzeugen, weil man es anders nicht schafft (ja, ich weiß: böse). Hier weiß aber jemand, wie man schreibt, und ist sich bewusst darüber, dass es noch ganz viele andere Wege gibt, die Aufmerksamkeit des Lesers zu generieren und vor allem: sie zu behalten.
Fazit
„Der Fahrer“ von Andreas Winkelmann ist für mich nicht nur ein Thriller, dem eine tolle Idee zugrundeliegt, sondern auch ein Beweis für das schriftstellerische Können eines Autors. Sprachlich perfekt, die logische Komponente nie aus den Augen verlierend, spannend und die ideale Ausgangslage für die Identifikation mit den Hauptprotagonisten schaffend: All das und noch viel mehr bietet dieses Buch. Und auch wenn Winkelmann sicher nicht zu den unbekannten Autoren gehört, hat er meiner Meinung nach nochmal viel, viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Ich bin jedenfalls ein großer Fan.