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Inhaltsverzeichnis
Lange dachte ich: Irgendetwas ist anders an mir als an den meisten Menschen in meinem Umfeld. Ich konnte es nicht genau festmachen, kämpfte vor allem in meiner Jugend extrem dagegen an, bis ich durch eine Freundin auf das Thema „Hochsensibilität“ aufmerksam wurde und mich näher damit beschäftigt habe. Ab diesem Zeitpunkt lernte ich mich besser kennen, fühlte mich verstanden und wusste, dass eine Veränderung in meinem Denken stattfinden musste.
Als ich vor Kurzem dann auch noch auf Sylvia Harkes Buch: „Wenn Frauen zu viel spüren: Schutz und Stärkung für Hochsensible“ (Amazon Link) aufmerksam wurde, das mir freundlicherweise vom Knaur MensSana Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde, hatte ich noch einmal verstärkt die Möglichkeit dazu, näher in die Thematik einzutauchen und zu verstehen, dass alles in Ordnung ist so wie es ist.
Ich möchte euch heute ein wenig mitnehmen in das Feld der Hochsensibilität, für das ich im Folgenden „Hochsensitivität“ synonym verwenden werde (eine Unterscheidung zwischen beiden Begrifflichkeiten gibt es laut Harke nur im Deutschen, im Englischen – und dort wurde das Phänomen erstmals von der Pionierin Elaine Nancy Aron erforscht – existiert eine solche nicht. Deshalb möchte ich es ebenfalls nicht komplizierter machen als es ohnehin schon ist). Neben meinen eigenen Erfahrungen möchte ich euch zeigen, was ich durch die Lektüre von Harkes Buch und durch eigene Recherche über Hochsensibilität gelernt habe und was es überhaupt damit auf sich hat. Sylvia Harke erklärte sich außerdem zu einem Experteninterview bereit, durch das ihr hilfreiche Tipps und Informationen bekommt. Wenn ihr ebenfalls hochsensibel seid, habt keine Angst und geht selbstbewusst damit um: Es ist nichts, wofür ihr euch schämen solltet.
Hier könnt ihr euch meine Erfahrungen und die Buchrezension in Videoform ansehen:
1. Hochsensibilität/Hochsensitivität – Was ist das überhaupt?
Hochsensible reagieren auf äußere Reize deutlich empfindlicher als andere Menschen. Hierbei kommt es stark darauf an, welche Sinne besonders feinfühlig sind: Während einige stärker auf Visuelles reagieren, sind andere besonders empfänglich für Geräusche. Es gibt jedoch auch Hochsensible, die mit all ihren Sinnen alles um sie herum besonders intensiv wahrnehmen, sodass es nicht selten zu einer Überreizung kommt. Während Elaine Aron von einem Anteil an Hochsensiblen von etwa 15 bis 20 Prozent der gesamten Bevölkerung spricht, schätzen andere Experten die Anzahl deutlich geringer ein.
Übrigens können natürlich nicht nur Frauen hochsensibel sein, sondern auch Männer. In dem besagten Buch, das ich vor Kurzem gelesen habe, richtet sich Sylvia Harke jedoch nur an Frauen. Sie hat aber auch andere Bücher geschrieben, in denen sie sich beiden Geschlechtern widmet. Diese habe ich selbst noch nicht gelesen, aber vielleicht ist da ja auch etwas für euch dabei:
Doch nicht nur die äußeren Umstände sind es, die Hochsensible besonders stark wahrnehmen. Sie sind auch sehr feinfühlig, wenn es um die Gefühle anderer Menschen geht. Betroffene berichten oftmals davon, dass sie die Emotionen anderer wahrlich spüren können, ohne zwangsläufig offen darüber zu kommunizieren. Was vielen Menschen gar nicht auffällt, wird von hochsensitiven Personen aufgenommen und aufgrund der Masse an Informationen und Emotionen oft nicht vollends verarbeitet. Konsequenzen sind nicht selten Rückzug, das Errichten einer imaginären Schutzmauer, Stress und Anpassung.
Was Hochsensibilität sonst noch auszeichnet – eine Auswahl:
- Das Gefühl des Anders-sein
- Gefühl, nicht verstanden zu werden
- Stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
- Intensive Gefühle, die lange Zeit andauern
- Sehr gutes Einfühlungsvermögen (Hochsensible erkennen, wenn etwas mit einem Menschen nicht stimmt)
- Sehr ausgeprägte Intuition (Hochsensible spüren im Vorfeld, wenn bestimmte Entscheidungen falsch sind; komplizierte Zusammenhänge werden zügig intuitiv erfasst)
- Fühlen sich oftmals in der Natur verstanden und wohl
- Sehr oft künstlerisch begabt
- Ausmalen verschiedener Ausgänge einer Situation (alles wird gründlichst analysiert und zu Ende gedacht, dabei werden zahlreiche Möglichkeiten berücksichtigt)
- Stress, Herzrasen/Panik, u.U. Aggressivität (aufgrund von Überreizung)
- Hohes Streben nach Ruhe
- Großes Harmoniebedürfnis
- Wunsch nach Vorhersehbarkeit/schlechter Umgang mit neuen Situationen
- Schwierigkeiten, sich abgrenzen zu können
Hochsensitive Menschen haben es in unserer heutigen Zeit, die sich durch Leistungsdruck, Unterdrücken von Gefühlen und Souveränität auszeichnet, nicht immer leicht. Trotzdem liegt aus meiner Sicht und auch aus der vieler Experten gerade auch darin der „Wert“ von Hochsensiblen für die Gesellschaft begründet: Sie können in einer äußerst schnelllebigen Welt, in denen Gefühle und das Einfühlungsvermögen in andere Menschen schnell auf der Strecke bleiben, dazu aufrufen, etwas zu ändern.
Durch ihre feinfühlige Art erwecken sie das Bewusstsein dafür, sich für äußere Reize und die Befindlichkeit des Umfelds zu öffnen, anders ausgedrückt: dafür, intensiver zu leben und den Blick aufs Detail nicht zu verlieren. Auch wenn die Reizüberflutung oftmals als Problem angesehen wird, handelt es sich bei der Fähigkeit, diese Fülle an Informationen aufzunehmen, durchaus um eine Begabung. Und als solche sollte die Hochsensibilität auch zu jeder Zeit wahrgenommen werden.
Ganz wichtig: Hochsensibilität ist keine Krankheit. Hochsensible sollten diese Fähigkeit vielmehr als etwas Besonderes ansehen, das sie auszeichnet und das sie sinnvoll und selbstbewusst einsetzen können.
2. Die Chancen hochsensibler Menschen
Die Überreizung und der damit verbundene Stress, der nicht selten auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Unruhe, Schlafstörungen, Erschöpfung oder Angstzuständen führen kann, ist nur eine Seite der Hochsensibilität. Glaubt mir, ich selbst kann ein Lied davon singen, wie es sich anfühlen kann und wie schwer es ist, damit umzugehen (dazu Genaueres unter Punkt 5 „Meine Erfahrungen“). Wichtig ist aber auch, die Hochsensitivität zu schätzen und sinnvoll einzusetzen – sie bietet nämlich auch zahlreiche Chancen und Vorteile, beispielsweise:
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- Hochsensible Menschen sind dazu in der Lage, sehr abstrakt zu denken, das eigene Handeln zu reflektieren und Dinge nicht einfach hinzunehmen, sondern zu hinterfragen. Viele sind neugierig, holen sich Input von außen und überdenken daraufhin ihre bisherigen Einschätzungen und Ansichten. Dies bietet unheimliches Potenzial zu wachsen.
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- Die ausgeprägte Menschenkenntnis und das Erkennen von Emotionen erweisen sich auch im Alltag als praktisch: Hochsensible können andere gut einschätzen, fühlen, welche Menschen gut miteinander funktionieren und welche nicht. Auch auf der Arbeit kann diese Fähigkeit durchaus hilfreich sein.
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- Die Begabung, intensiv zu fühlen und eine gewisse Verbundenheit zu spüren, bietet Raum für neue Erfahrungen und Erlebnisse. Hochsensible sind oftmals musikaffin oder begeistern sich für andere Künste. Außerdem fühlen sie sich häufig in der Natur sehr wohl und pflegen eine intensive Beziehung zu ihr.
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- Die ausgeprägte Intuition von hochsensiblen Menschen kann sie vor Enttäuschungen bewahren, sofern die entsprechenden Alarmsignale richtig gedeutet und wahrgenommen werden. Besonders wenn sich ein ungutes Gefühl bei einer Sache im späteren Verlauf als richtig erwiesen hat, lohnt es sich, darauf zu vertrauen.
- Hochsensible haben oftmals einen Wertekanon, der sich inspirierend auf Mitmenschen auswirken kann und von anderen auch als deren Stärke angesehen wird. Hierzu zählen beispielsweise Gerechtigkeitsempfinden, Ehrlichkeit und ihr Hang zur Perfektion.
3. Sylvia Harke: Wenn Frauen zu viel spüren. Schutz und Stärkung für Hochsensible – Buchrezension
Eines mal vorab: Das Buch „Wenn Frauen zu viel spüren. Schutz und Stärkung für Hochsensible“ von Sylvia Harke, das am 25. August 2017 im Knaur MensSana Verlag erschien, kam für mich wirklich wie gerufen. Gerade in der letzten Zeit machte mir meine Hochsensibilität wieder zu schaffen, weil es mir schwerfiel, mich von den Emotionen anderer Menschen aus meinem Umfeld ausreichend abzugrenzen. Und tatsächlich finde ich es noch immer nicht leicht, in manchen Situationen genau zu unterscheiden, ob es nun meine eigenen Gefühle sind oder die der anderen.
Doch was hat mir konkret geholfen und was waren für mich die wichtigsten Aussagen in diesem Buch?
Ich fühle mich verstanden und nicht allein.
Das Buch greift zahlreiche Fragen zum Umgang mit der eigenen Hochsensibilität gekonnt auf und enthält unheimlich viele Tipps, wie man mit unterschiedlichen Situationen umgehen kann (beispielsweise durch Meditation oder Gedankenreisen). Es vermittelt einem vor allem das Gefühl, verstanden zu werden, das mir sonst oft fehlt. Durch die Erfahrungsberichte anderer Frauen und die Ergebnisse einer Umfrage, die Sylvia Harke für dieses Buch durchgeführt hat, konnte ich mich unheimlich gut mit diesen Menschen identifizieren und wusste von da an: Ich bin nicht allein mit meinen Gedanken und Verhaltensweisen.
Bin ich „nur“ hochsensibel oder doch auch Scanner und/oder High Sensation Seeker? Ich habe es herausgefunden.
Nach einem ausgiebigen Test, anhand welchem der Leser herausfinden kann, ob er wirklich hochsensibel ist oder nicht, werden die Scanner- und High Sensation Seeker Persönlichkeiten genauer beleuchtet, zwei „Sonderformen“ der Hochsensibilität. Auch hier muss der Leser einige Fragen beantworten, die genaue Auskunft über ihn als Person geben. Auch wenn ich einige Punkte der Scanner Persönlichkeit erfülle, habe ich hierbei vor allem herausgefunden, dass ich zu den hochsensiblen High Sensation Seekern gehöre: eine Form, die nicht gerade von einfachem Verhalten geprägt ist, da Hochsensitivität und das High Sensation Seeker Phänomen sehr widersprüchlich, wenn nicht gar gegensätzlich sind, was die Reaktion auf unterschiedliche Reize anbelangt. Ich bin sehr froh darüber, dass Sylvia Harke diese Formen ebenfalls aufgenommen hat, weil es unheimlich geholfen hat, mich besser zu verstehen und ich jetzt weiß, wo ich ansetzen kann.
Ich weiß, welche Sinne bei mir hochsensibel reagieren.
Durch das genaue Eingehen auf unsere Sinne haben Hochsensible durch das Buch zudem die Möglichkeit, noch einmal genauer darüber nachzudenken, welche Sinne bei ihnen am stärksten betroffen sind. Während manche sehr sensibel auf Berührungen reagieren, sind andere beispielswiese äußerst empfindlich bei Geräuschen. Bei vielen sind auch mehrere Sinne gleichzeitig betroffen.
Ich möchte von anderen Menschen lernen.
Zudem lassen sich laut dem Buch Hochsensible auch in unterschiedliche Bereiche (beispielsweise in den sozialen, naturwissenschaftlichen oder künstlerischeren Bereich) einteilen, was mir zuvor nicht bewusst war. Durch „Gegenspieler“-Persönlichkeiten können Hochsensible unheimlich viel lernen, was ich als echte Bereicherung empfinde: In meinem Umfeld kenne ich nur zwei weitere hochsensible Personen, von denen ich mit nur einer ausführlich über dieses Thema spreche. Gerade von ihr fühle ich mich sehr verstanden, während ich andere Menschen oftmals als „Feind“ (übertrieben ausgedrückt) ansehe, wenn sie mich und meine Gedanken nicht nachvollziehen können. Durch das Buch habe ich gelernt, dass ich aber auch von diesen Menschen unheimlich viel mitnehmen kann und sie es nicht böse mit mir meinen, wenn sie nicht jeden einzelnen Gedankengang nachempfinden können und mir Alternativen anbieten, wie ich Sache XY lösen/sehen kann. Daher liegt es meinem Empfinden nach auch an uns Hochsensiblen, dass wir uns dieser Seite öffnen und nicht nur Verständnis von außen „einfordern“.
Nicht jeder Hochsensible ist gleich.
Selbst wenn nicht alle Teile der verschiedenen Kapitel immer auf mich zutrafen, habe ich auch diese gerne gelesen. Hochsensitivität wirkt sich bei jedem sehr unterschiedlich aus. Trotzdem lohnt sich auch ein Blick auf die anderen Seiten, weil es dabei hilft, andere besser zu verstehen.
Dieses Buch kann auch Nicht-Hochsensiblen helfen.
Wo wir schon beim Thema sind: Ist dieses Buch meiner Meinung nach auch etwas für Menschen, die selbst nicht hochsensibel sind, aber einen Partner/einen Freund/einen Bekannten haben, der es ist? Ich finde: Ja. Einerseits stelle ich es mir zwar schwierig vor, sich in diese Thematik einzufinden, wenn man selbst keinen konkreten Zugang dazu hat, andererseits hilft es aber auch, das Verhalten von Hochsensiblen besser nachvollziehen zu können. Ich bin mir nämlich sicher, dass diese Menschen, die einen oder anderen Gemeinsamkeiten zwischen ihrem Partner/Freund/Bekannten und den Hochsensiblen, die in dem Buch beschrieben werden, finden können. Ich denke vor allem, dass sich Nicht-Hochsensible oftmals vor den Kopf gestoßen fühlen könnten beziehungsweise nicht wissen, wie sie mit Hochsensiblen umgehen sollen. Dieses Buch kann dabei durchaus hilfreich und bereichernd sein.
Es mag komisch klingen, aber mir persönlich hilft es schon unheimlich, dass es dafür, wie ich bin, einen Namen gibt. Sylvia Harke ist es gelungen, dass ich gerade lerne, Hochsensibilität als meine Stärke, nicht als meine Schwäche anzusehen. Das solltet auch ihr tun.
4. Meine Erfahrungen als Hochsensible
„Sei doch nicht so empfindlich!“, „Reiß dich mal zusammen!“, „Du übertreibst mal wieder!“ – Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich diese Aussagen gehört habe und mich hinterher jedes Mal so gefühlt habe, als stimme irgendetwas nicht mit mir. Ich habe schon sehr früh gemerkt, dass ich anders war als die anderen und es über sehr lange Zeit ausschließlich als Belastung empfunden.
Meine Kindheitserfahrungen
Konkret begann es bereits im Kindesalter, in dem ich mich zum ersten Mal fragte: „Was ist eigentlich der Sinn von uns Menschen/von mir auf der Welt?“. Ich hatte damals meiner Mutter erzählt, dass mir diese Frage im Kopf herumschwirrte und sie gefragt, ob sie sich diese auch manchmal stelle. Ich weiß es noch so als wäre es gestern gewesen: Sie war ratlos und hatte (logischerweise) keine genaue Antwort für mich. Heute erscheint es mir komisch, dass ich mich an diesen Moment in meiner Kindheit erinnern kann, während so gut wie alles andere in Vergessenheit geriet.
Ich hatte damals schon nicht viele Freunde, weil ich diese immer sehr sorgfältig ausgewählt habe. Tiere waren dagegen mein Ein und Alles und auch heute fällt mir der Zugang zu ihnen deutlich leichter als zu Menschen. Woran das genau liegt, frage ich mich bis heute. Ich hatte auch an der einen oder anderen Stelle von hochsensiblen Tieren gelesen: Jeder kennt schließlich die Geschichten von Tieren, die merken, wenn es ihrem Besitzer nicht gut geht, oder von Tieren, die spüren, wenn sie sterben und sich in Folge dessen noch verabschieden. Ich frage mich: Hat man als Hochsensibler vielleicht nochmal einen anderen Zugang zu Tieren, weil man sich von ihnen irgendwie verstanden fühlt/Gemeinsamkeiten findet? Es mag etwas weit hergeholt sein, die passende Antwort habe ich dafür noch nicht gefunden.
Im Laufe der Jahre verstärkte sich dann auch noch mein Hang zur Perfektion: Ich wollte alles auf Anhieb richtig machen (vor allem in meiner schulischen Laufbahn), setzte mich so unter Druck, dass ich zwischenzeitlich das Gefühl hatte, daran zu zerbrechen. Ob ich dazu von familiärer Seite gezwungen/angetrieben wurde? Zu keinem Zeitpunkt.
Doch wer denkt bei diesen Punkten schon an Hochsensibilität? Ich habe es nicht getan. Heute weiß ich, dass es vielleicht schon damals die ersten Anzeichen waren.
Seherische Fähigkeiten oder „Jetzt hör’ doch mal auf zu spinnen“
Gefolgt wurden diese Punkte von Situationen, die mir selbst unheimlich waren und die andere Menschen erst recht nicht verstehen konnten. Ich hatte teilweise Vorahnungen, die sich als richtig herausstellten. Das betrifft vor allem die plötzliche Anwesenheit von anderen, von der ich nichts wissen konnte. An einem konkreten Beispiel: Ich war jahrelang mit einem anderen Mädchen in der Grundschule und ein paar Jahre zusammen auf dem Gymnasium. Dann verließ sie die Schule, weil sie mit ihren Eltern umzog. Jahre später hatte ich beim morgendlichen Gang zum Gymnasium plötzlich eine Art Eingebung, dass ich sie an diesem Tag wiedersehe. Es deutete rein gar nichts darauf hin, ich hatte nichts in diese Richtung gehört und dann saß ich in der Klasse und sie war plötzlich ein paar Reihen vor mir. Wie gesagt, für mich war es in diesem Moment einfach nur unheimlich und ich tat es schnell als reinen Zufall ab. Als sich solche Dinge aber mehrfach wiederholten, wusste ich, dass ich irgendetwas spürte, was andere nicht spüren konnten. Mir fehlte aber eine Bezeichnung/eine Erklärung dafür.
Ungutes Bauchgefühl
Was ich ebenfalls jahrelang ignoriert habe beziehungsweise nicht als wichtig genug eingestuft habe, ist mein Bauchgefühl. Ich erinnere mich konkret an eine Situation: Ich hatte damals eine Wohnung besichtigt, bei der mir absolut unwohl war. Nach außen wirkte sie eigentlich perfekt, aber irgendetwas stimmte nicht. Da ich natürlich keine wirklichen Beweise hatte, versuchte ich mich zu beruhigen und unterschrieb trotz meines unguten Gefühls den Mietvertrag.
Was ich davon hatte? Eine undichte Wohnung (das stellte sich erst im Winter heraus), folglich Schimmelbefall und keine funktionierenden Heizungen (dieses Problem konnte bis zum Auszug nicht behoben werden). Doch das war nicht das einzige. Ich erfuhr hinterher, dass der Vormieter einfach aus der Wohnung verschwunden war, einen Abschiedsbrief hinterlassen hatte und seine Tiere (Katzen und Fische) einfach zurückließ (was mit ihnen passierte, möchte ich hier gar nicht genau ausführen). Für mich ein viel größeres Problem als die Schäden in der Wohnung und der Grund, warum ich mich niemals vollends dort wohlfühlte. Heute bin ich überzeugt davon, dass ich es schon vorher spürte, dass mit dieser Wohnung irgendetwas nicht stimmte. Ich würde jetzt nicht noch einmal so handeln und auf mein Gefühl vertrauen – auch wenn es dann eben ein wenig länger dauert, bis man an sein Ziel, in dem Fall die perfekte Wohnung, kommt.
Geschlaucht-sein nach reizüberflutenden Situationen
Besonders in meiner Jugendzeit wollte ich es einfach nicht wahrhaben, dass ich mich nach Partys oder anderen lauten und viel besuchten Veranstaltungen unheimlich geschlaucht fühlte. Für mich galt es mit 18 als normal, dass man feiern geht/die Sau rauslässt. Doch auch damals hatte ich schon meine Probleme damit: In lauten Umgebungen fühle ich mich schnell überfordert und bin hinterher sehr müde. Das betrifft aber auch nicht nur die Situation in der Disco: Auch auf Konzerten gehe ich gelegentlich an meine Grenzen, weil ich dort die „Gelegenheit“ dazu habe, sämtliche Reize auf einmal sehr intensiv wahrzunehmen. Da ist zum einen die Musik (die mich für sich alleinstehend beruhigen würde) und der Lärm der Menschen, zum anderen sind da die Berührungen von allen Seiten (wenn auch unbeabsichtigt). All das zusammen wird mir schnell zu viel und ich habe das Bedürfnis, die Leute um mich herum anzubrüllen, dass sie von mir weggehen mögen, da bin ich ganz ehrlich. Da ich natürlich selbst weiß, dass es unangebracht wäre, tue ich es selbstverständlich nicht und alle Emotionen und Gedanken stauen sich in mir auf, was nicht selten in innere Unruhe und manchmal sogar Angst ausartet.
Doch nicht nur öffentliche Veranstaltungen sind ein „Problem“: Auch wenn ich beispielsweise mit mehreren Menschen an einem Tisch sitze, sind die Gespräche schnell zu laut und überfordernd für mich. Mir wird davon oft schwindlig, mein Kopf dröhnt und ich habe meist ab irgendeinem Punkt das Gefühl, nicht mehr wirklich im Raum zu sein (sehr schwierig zu erklären) – vermutlich weil ich mich selbst schützen/distanzieren möchte.
Bei Freunden/Familienmitgliedern, denen es selbst nicht gut geht, spüre ich unbewusst, dass etwas nicht in Ordnung ist und frage mich hinterher oft, warum ich mich so geschlaucht fühle, obwohl wir unter Umständen gar nicht darüber gesprochen haben. Es fällt mir oft unheimlich schwer, mich von dieser Gedanken-/Gefühlswelt zu distanzieren und ich weiß oft nicht, ob ich mich nun selbst nicht gut fühle oder ob es die Emotionen meines Gegenübers sind. Mittlerweile ist es glücklicherweise weit besser als früher, weil ich gelernt habe, besser damit umzugehen. Allein deshalb, weil ich jetzt weiß, woher das Gefühl der Erschöpfung kommt.
Wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Mein Gerechtigkeitssinn war schon immer sehr ausgeprägt. Grund genug, warum ich mit fest vorgegebenen Strukturen oftmals meine Schwierigkeiten habe. Für mich wäre eine Welt leichter, in der meine Werte gelten und ich ausnahmslos nach diesen leben könnte. Ungerechtes Handeln – sei es im Job, sei es gegenüber anderen Menschen oder gegenüber Tieren – geht mir so gegen den Strich, dass ich nicht aufhören kann, daran zu denken. Manchmal artet das in Gedanken wie: „Wie kann die Welt so ungerecht sein?“ aus und ich habe Schwierigkeiten, eine beruhigende, positive Gegenstimme zu finden. Es gibt gewisse Dinge, bei denen ich weiß, dass ich runterfahren und mich nicht zu ausgiebig damit beschäftigen darf. Dazu gehören zum Beispiel alle Situationen, in denen Tieren Leid zugefügt wird. Sehe ich so etwas, ist der Tag für mich gelaufen, weil ich keine Ruhe mehr finde – und das ist leider wirklich keine Übertreibung. Andererseits – und das habe ich auch durch die Lektüre gelernt – empfinde ich es auch als etwas Schönes, mit anderen Lebewesen mitzufühlen. Insbesondere weil Empathie mittlerweile keinen allzu wichtigen Stellenwert mehr einzunehmen scheint.
Nah am Wasser gebaut
Ja, ich habe nah am Wasser gebaut. Und zwar so, dass es Außenstehende mit Sicherheit auch als übertrieben empfinden. Ich weine nicht nur, wenn ich einen Film sehe, der mich berührt, sondern auch wenn ich über Alltagsgeschichten erzähle, die mich in irgendeiner Form bewegen. Sehe ich einen Opa Hand in Hand mit seiner Frau über die Straße gehen und er kümmert sich liebevoll um sie, beginne ich zu heulen. Erzähle ich einer Freundin oder meinem Freund von einer Situation, die ich ungerecht fand, ebenso. Ich habe es gefühlt schon eine Million Mal versucht zu unterdrücken und letztendlich gelingt es sowieso nicht wirklich. Mein Rat hier ist: Lasst euren Gefühlen freien Lauf, ihr könnt sie sowieso nicht zurückhalten. Und auch hier gilt wieder: Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen.
„Aber es könnte doch alles Mögliche passieren…!“
Zugegeben, ich bin eine Meisterin darin, mir in einer bestimmten Situation tausende Ausgänge auszumalen. Nahezu jede meiner Handlungen stricke ich in meinem Kopf zu unzähligen verschiedenen Enden zusammen. Dabei berücksichtige ich alle, wirklich alle, Eventualitäten. Und wie ihr vielleicht schon ahnt, wenn ihr euch das vorstellt, oder wie ihr eventuell sogar aus eigener Erfahrung wisst, kann einen das ganz schön verrückt machen. Im Alltag versuche ich mich mittlerweile immer ein wenig zu bremsen, wenn ich merke, dass mir die Szenarien in meinem Kopf nicht guttun. Außerdem habe ich einigen aus meinem Umfeld davon erzählt, die mittlerweile sehr verständnisvoll reagieren. Das war aber nicht immer so: Als Außenstehender ist das manchmal gar nicht so leicht nachzuvollziehen. Trotzdem habe ich auch das Gefühl, dass mir diese Eigenschaft oft weiterhilft: Auf der Arbeit überdenke ich das, was ich tue, sehr oft und gründlich. Macht es überhaupt Sinn, dass ich die Aufgabe auf diese Weise löse? Ist das Ziel wirklich relevant oder erreichbar? Diese Fragestellungen helfen unheimlich dabei, nicht nur stumpf vor sich hin zu arbeiten, sondern führen zu einer effektiven, lösungsorientierten Arbeitsweise.
Zwischen den Zeilen lesen
„Aber du musst das doch auch sehen?!“ – Das höre wiederum ich mich selbst sehr oft sagen oder denken. Wenn jemand mit mir spricht und seine Wünsche oder Gedanken nicht konkret ausdrückt, verstehe ich in der Regel trotzdem immer, was man mir damit sagen will. Von anderen höre ich dann gelegentlich, dass ich Gesagtes überinterpretiere, doch das sehe ich nicht so. Mich bewahrte diese Fähigkeit oft schon davor, anzuecken beziehungsweise als unverschämt zu gelten. Nimmt man diese feineren Ebenen wahr, ist es in so vielen Situationen unheimlich hilfreich und man hat die Möglichkeit, auch andere dafür zu sensibilisieren.
Ich bin mir sicher: Wenn du diesen Beitrag gelesen hast, wirst du in irgendeiner Form Zugang zu diesem Thema haben und dich vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle wiederfinden. Und genau das ist auch meine Absicht. Ich habe Jahre hinter mir, in denen ich mich nicht verstanden fühlte und auf der Suche nach einer Bezeichnung für das war, das ich erlebte. Lasst euch nicht einreden, dass ihr „spinnt“, „hysterisch“ oder „übertrieben“ reagiert, wenn ihr hochsensibel seid. Es ist in Ordnung, dass ihr gefühlsbetont, empathisch und feinfühlig seid und eine besondere Gabe, die die richtigen Menschen auch zu schätzen wissen werden.
Seid ihr auch hochsensibel? Wenn ja, wie äußert sich das bei euch und was sind generell eure Erfahrungen damit? Ich freue mich über jeden Input und den Austausch mit euch!
2 comments
Liebe Sybi,
Ein wirklich toller Beitrag zu diesem Thema. Als ich auf das Thema aufmerksam wurde war ich schon 45 Jahre alt. Und zwar war das auf der Arbeit als mir ein Buch zum Thema in die Hände fiel, das grad neu erschienen ist. Da ich es auspacken und etikettieren musste schaute ich es mir genauer an. Und was soll ich sagen… Ich dachte die Frau scheint über mich. Also kam das Buch von Eliane Reinhardt mit nach Hause.
Auch in diesem Buch findet sich ein Selbsttest. Wahrscheinlich nicht so ausführlich wie deiner im Buch, denn zu den 2 Sondervarianten geht sie kaum ein, nur ganz zum Schluss. Also danke für deine Suchtipps, ich muss mal gucken, vielleicht finde ich die ja günstiger. Und ich sollte mich wohl wieder etwas mehr mit dem Thema erfassen aber in den letzten Jahren kam das nicht in Frage, denn mit einer Depression ist es schwer sich auf solche Themen einzulassen und befassen. An ist so abgestellt das nichts klappt. Jetzt wo es mir aber langsam wieder besser geht möchte ich vermehrt mit mir arbeiten, da es in meinem Leben eh viel zu kurz kam.
Ich find es toll wie du mit dem Thema schon umgehen kannst, für mich ist es noch immer schwierig.Und das Selbstvertrauen fehlt mir eben gänzlich.
Danke also für den tollen Beitrag! Und ich hoffe es werden sich viele ansehen.
Liebe Grüsse und ein schönes Weekend.
Alexandra
Liebe Alexandra,
vielen Dank für deinen Kommentar! Ich habe schon oft gehört, dass Hochsensible eher durch Zufall auf Hochsensibilität aufmerksam wurden, so war es bei mir auch. Sobald man aber einen Namen dafür hat, ist es aber doch auch irgendwie ein befreiendes Gefühl, oder?
Ich freue mich außerdem sehr zu hören, dass es dir wieder besser geht. Jetzt ist die Zeit, nach vorn zu schauen. Dafür wünsche ich dir ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen.
Lieben Dank nochmal für dein nettes Feedback und dir ebenfalls noch ein schönes Wochenende!
Sybi